Irgendwas muss jetzt passieren. Irgendwas Ermutigendes. Eine Erinnerung daran, warum ich das hier eigentlich mache.
Den Grund dafür muss ich irgendwo auf den letzten Kilometern vergessen haben. Vielleicht ist er zusammen mit meinen Wanderschuhen in einem der Schlammlöcher versunken, aus denen ich meine Füße bei jedem Schritt mit einem lauten Schmatzen rausziehen muss.
Diese Schlammlöcher, die der Regen der vergangenen Tage in den Waldboden gesogen hat, die verschlucken alles, was ihre Oberfläche berührt. Wanderschuhe, Wanderstöcke und alle Motivation, die mich dazu bewegt hat, mich durch dieses Minenfeld aus Matsch zu manövrieren.
Mein einziges Ziel, für das ich die nächsten 200 Meter auf mich nehmen werde, ist die Bank, die dort am Wegesrand unter den Tannen steht. Auf den geschüsselten Holzplanken der Bank haben sich dreckige Pfützen gebildet, – wenn aber sowieso alles nass ist, spielt das keine Rolle mehr.
Nach einem Thermoskannen-Deckel mit Tee und einer Handvoll getrockneter Aprikosen erinnere ich mich vage, warum ich hier bin. Richtig – genau diese Herausforderung habe ich gesucht. Wollte alleine über die Alpen laufen, von Gmund am Tegernsee bis nach Sterzing in Südtirol. Ich wollte schauen, was das mit jemandem macht, der zwar das weite Wandern kennt, nicht aber das Alleinsein.
Ich wollte wachsen, Höhen und Tiefen überwinden. Die am Berg, aber auch die, die so eine Herausforderung mit sich bringt.
Aber gerade – gerade überlege ich, ob es das wert sein wird. Denn bei all dem Regen, der zu so einem Abenteuer dazugehört, gehört auch Sonne dazu. Und von der habe ich in den vergangenen Tagen definitiv zu wenig abbekommen.
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Etappe 1: Hauptsache los
Der Tegernsee liegt im Nebel, auf seiner spiegelglatten Oberfläche tanzen die Tropfen. Die umliegenden Gipfel verstecken sich in dichten Wolken, noch nicht einmal den Höhenweg 100 Meter oberhalb des Ufers kann ich sehen. Und trotzdem breitet sich auf meinem Gesicht ein Grinsen aus. Regen? Mir doch egal!
Endlich geht’s los. Endlich habe ich acht Tage lang nichts anderes zu tun, als einen Fuß vor den anderen zu setzen, Fotos zu machen, getrocknete Aprikosen und Käsesemmeln zu essen. Regen wird mich nicht aufhalten können.
So gut ich kann, rede ich mir das ein, solange ich selbst daran glaube. Denn es werden Momente kommen, da wird mir das Grinsen im Gesicht einfrieren und vielleicht nicht so schnell wieder auftauen.
Das weiß ich, weil diese Wanderung über die Alpen – 165 Kilometer, 5.640 Höhenmeter im Aufstieg und knapp 5.950 im Abstieg – nicht meine erste Weitwanderung ist. Abseits jeglicher Zivilisation bin ich durch den Westen der Mongolei gewandert, über eine Insel vor der Küste Tasmaniens, war zu Fuß im afrikanischen Busch unterwegs.
Meine größte Herausforderung dieses Mal wird nicht das Wandern sein. Sondern das Alleine-Wandern.
Bisher war ich immer mit Felix unterwegs. Und obwohl ich mir keinen besseren Partner vorstellen kann, will ich herausfinden, wie gut ich auf so einem Abenteuer ohne ihn zurechtkomme. Ohne einen hilfesuchenden Blick zu Seite. Ohne zur Ablenkung Lieder zu singen, zu schimpfen, wenn es nötig ist, vor Freude über den Weg zu tanzen. Und ohne sich gegenseitig aufzumuntern, wenn man nichts mehr will, als sich neben den Rucksack auf den Boden fallen zu lassen und nie wieder aufzustehen.
Dass das Alleinsein mein größter Gegner sein wird, das wird mir schon am zweiten Tag klar.
Etappe 2: Ist da wer?
„Die zweite Etappe wird die Längste werden.“
Das ist ein Gedanke, den ich so schnell wie möglich wieder loswerden muss.
Entlang der glasklaren Weißach laufe ich von Kreuth Richtung Blauberge. Alles fühlt sich neu an, aufregend, im Rucksack ist wieder eine ordentliche Portion Aufbruchsstimmung, und ich kann erahnen, dass sich der Nebel nach den oberen Tannenspitzen lichten wird. Vielleicht gibt er dann sogar den Blick frei auf die umliegenden Gipfel. Das hoffe ich sehr, denn ich will unbedingt wissen, ob die Blauberge ihren Namen wirklich verdient haben.
Und ja, das haben sie.
Und ich, ich habe mir, nachdem ich die bayerisch-österreichische Grenze überquert habe, eine Pause verdient. Finde ich.
Was ich gerade noch nicht wissen kann: Diese Pause wird den Tag in zwei Hälften teilen. Die erste Hälfte, in der ich voller Zuversicht die Blauberge erklommen habe und es kaum abwarten konnte, weiterzulaufen. Und die zweite Hälfte: 15 Kilometer lang, viel zu unspektakulär durch den Wald nach Achenkirch. Von diesen 15 Kilometern bekomme ich vor Nebel und Regen kaum etwas zu sehen.
Und hier, in diesen stummen Stunden aus Grau, wünsche ich mir nichts mehr, als Felix an meiner Seite zu haben.
Etappe 3: Eine gute Idee? Eine gute Idee!
Der Steig, der sich oberhalb des Achensees an die Steilwand klammert, soll einer der schönsten in ganz Tirol sein – und eigentlich Teil dieser Etappe.
Bei Nässe raten allerdings alle Wanderführer von dieser recht ausgesetzten Route ab.
Starkregen lässt ein „Aber, vielleicht…“ gar nicht erst zu.
Stattdessen laufe ich die Ostseite des Achensees entlang bis nach Maurach. Weil ich mich auf dem flachen Kiesweg auf nichts konzentrieren muss, konzentriere ich mich zu sehr auf den Gedanken, dass ich immer noch alleine unterwegs bin.
Und dann sitze ich hier. Auf einer Bank am Ufer, während auch der Regen Mittagspause macht. Im glasklaren Wasser spiegeln sich die Butterblumen hinter mir, die lila Disteln, die Schafgarbe. Auch ich spiegle mich im Wasser. Der Platz neben mir ist leer. Genau so hatte ich es mir ausgesucht.
Eine gute Idee. Auch, wenn ich Felix vermisse. Endlich glaube ich wieder daran.
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Etappe 4: Halbzeit!
„Eine gute Idee, eine gute Idee, eine gute Idee.“
Das wiederhole ich in Gedanken immer wieder, bevor ich mir die Kapuze tiefer in die Stirn ziehe und von dem schützenden Blätterdach raus auf die Lichtung laufe. Heute steht ein Meilenstein bevor: das Zillertal.
Das Zillertal kenne ich von vielen Skitagen im Winter und von noch mehr Wanderungen im Sommer. Ich erkenne die einzelnen Gipfel und weiß, welcher Talort auf welchen folgt. Von München nach Mayrhofen sind es zwei Stunden Autofahrt – wie muss es sich anfühlen, diese zwei Stunden Autobahn mit vier Tagen Fußmarsch zu ersetzen?
Etappe 5: Endlich angekommen, auf dem Weg über die Alpen
Unbeschreiblich. So fühlt sich an. Als ich an diesem Morgen in Fügen im Zillertal aufwache, strahlt der Himmel zum ersten Mal in seinem schönsten Blau. Und ich, ich bin deswegen so aufgeregt, dass ich am liebsten noch vor dem Frühstück losgegangen wäre. Nein, sogar losgerannt wäre ich am liebsten, aber dafür waren der Rucksack zu schwer und der Weg zu lang.
Durch ein Meer an Blaubeersträuchern wandere ich über das Spieljoch und den Loassattel bis nach Hochfügen. Ein Panoramaweg, der immer wieder den Blick in die weiten, Zillertaler Alpen und auf die hohen Gipfel des Alpenhauptkamms freigibt. Die scheinen in weiter Ferne. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass ich in den kommenden Tagen soweit und sogar noch weiter wandern werde.
Etappe 6: Höhenluft
Immer Richtung Süden, immer der Sonne, immer dem Alpenhauptkamm entgegen. Die ersten Spätsommer-Sonnenstrahlen machen aus dem feuchten Gras einen Saunaduft, im Zickzack bahne ich mir meinen Weg hoch zum Sidansattel. Von dort oben aus sehe ich zurück nach Hochfügen. Ich sehe Richtung Loassattel, über den ich gestern noch gelaufen bin und die ersten Berge am Taleingang des Zillertals.
Eine halbe Drehung nach rechts schaue ich runter ins andere Tal. Der Weg dorthin schlängelt sich über vier Gipfel dem Horizont entgegen. Es geht auf und ab, aber dieses Mal nur noch in den Bergen. In meinem Kopf ist nichts als Glück. Mit dem Panorama vor Augen und der Sonne im Gesicht setzt sich ein Fuß ganz automatisch immer wieder vor den anderen.
Ich bin angekommen auf diesem Weg über die Alpen. Endlich.
Etappe 7: Zu Fuß ist immer noch zu schnell
Zu Fuß ist die langsamste Art zu reisen. Und trotzdem geht es mir gerade fast zu schnell. Kaum habe ich begriffen, dass ich bis ins Zillertal gewandert bin, werde ich es schon wieder verlassen.
Heute wird ein besonderer Tag sein: Vom Schlegeisspeicher führt der Weg den Zamser Grund hinauf. Vorbei an der Lavitzalm, die noch auf österreichischer Seite liegt. Vorbei am Pfitscher Joch Haus, das sich schon in Italien befindet. Die Meter dazwischen bergen eine Gefühlsexplosion. Denn so oft ich diese Grenze schon überquert habe: Noch nie war ich zu Fuß von zuhause losgelaufen. Noch nie habe ich das alleine gemacht, mit allem in meinem Rucksack, was ich für dieses Abenteuer brauche.
Etappe 8: Das Ziel war eigentlich nie mein Ziel
Obwohl das Wolkenmeer am tiefgrauen Himmel jeden Moment brechen könnte, gehe ich auf diesen letzten Kilometern langsam.
Einerseits kann ich es kaum erwarten, auf dem Marktplatz in Sterzing zu stehen. Andererseits packt mich Wehmut bei dem Gedanken, dass mein Abenteuer in diesem Moment vorbei sein wird.
Im Wald bleibe ich öfter stehen, schaue mir alles ganz genau an. Es ist nicht so, dass ich diese Gegend nie wieder sehen werde. Aber ich werde sie nie wieder mit den Augen einer sehen, die gerade zum ersten Mal alleine über die Alpen gelaufen ist und kurz vor ihrem Ziel steht.
Das Ziel – der Marktplatz in Sterzing – war eigentlich nie mein Ziel. Das wird mir klar, als ich mit meinen Wanderschuhen das Kopfsteinpflaster erreiche.
Ja, Sterzing ist rein geografisch eines, weil ich zu meinem Startbahnhof eben auch einen Endbahnhof brauche.
Das eigentliche Ziel, auf das ich die letzten acht Tage zugelaufen bin, findet sich aber auf keiner Landkarte. Es ist ein Persönliches.
Ich wollte alleine über die Berge laufen, in denen ich schon als Kind wandern war. Auch dann nicht aufhören, wenn mir der Regen den Boden unter den Füßen wegspült und mich andere Wanderer fragen, ob ich denn keine Angst hätte. Ihnen wollte ich nie was beweisen. Aber mir selbst.
Und das habe ich, weil man sich auf eine Sache immer verlassen kann:
Wenn man bis zu den Knöcheln im Schlamm feststeckt, flucht und wünscht, dass irgendwas Gutes passieren wird – dann wird irgendwas Gutes passieren. Und wenn das einzige Ziel, zu dem man es noch schaffen möchte, eine nasse Holzbank 200 Meter weiter ist – dann geht immer noch mehr. Dann gehen sogar noch hundert Kilometer mehr, bis man auf dem Marktplatz in Sterzing steht.
Hier stellt dir Franziska übrigens ihre Packliste ihrer Alpenüberquerung zur Verfügung.