Wie aus dem Nichts fängt unser Herz an zu rasen, die Kehle wird trocken, eine Hitzewelle rollt durch den ganzen Körper. Uns packt die Angst.
Weil der Wald zu dunkel, der Grat zu ausgesetzt, die Wand zu steil oder der Fels zu brüchig ist.
Manche finden sich öfter in solchen Situationen wider, andere seltener. Fest aber steht: Kennen tun wir sie alle, solche Situationen. Denn die Angst ist eine unserer ursprünglichsten Emotionen.
Vor allem jene, die die Höhe am meisten lieben, haben den größten Respekt vor ihr. Kein Wunder: Bergsteigen gilt als Herausforderung für den gesunden Menschenverstand.
Die Angst gehört zum Bergsteigen deshalb dazu wie das Buch auf einen Gipfel. Kletterprofi Alexander Huber bezeichnet die Angst sogar als seinen besten Freund. Und die Bergsteiger-Legende Reinhold Messner ist der festen Überzeugung, die Angst sei die andere Hälfte von Mut. „Den furchtlosen Helden gibt es nicht.“
Warum aber dann verfluchen wir solche Situationen, in denen unsere Knie anfangen zu zittern, und wir uns am liebsten auf sicherem Talboden verkriechen wollen? Warum verfluchen wir die Angst? Oder sprechen grundsätzlich gar nicht über sie?
Pauli Trenkwalder hat Antworten auf diese Fragen. Er ist Bergführer und Psychologe.
Ein Gespräch darüber, warum es so wichtig ist, dass wir der Angst Raum geben. Und über Lösungen, wie wir sie zu kontrollieren lernen.
Die Berge sind Pauli Trenkwalders Psychologie-Praxis. „Eine wundervolle Kombination, um Menschen zu begleiten“, wie er selbst sagt. Pauli klettert, seit er laufen kann. Einst waren Erstbegehungen an fernen Orten seine große Leidenschaft – heute begleitet als Psychologe und Bergführer Menschen in die Berge. Wandern und dabei die passenden Fragen stellen – das ist seine Arbeit. Mit seiner Frau und Tochter lebt er in Südtirol.
Fragen & Antworten
Je mehr ich zum Thema Angst lese, desto öfter bekomme ich das Gefühl, sie wäre ein riesiges Problem. Ein Tabuthema, fast schon, das wir unbedingt verstecken sollten. Was hat es damit auf sich?
Pauli Trenkwalder: Vielleicht passt die Angst für viele nicht ins Bild ihrer alpinen Heldengeschichte. Vielleicht will und kann man über die eigene Angst nicht so gut sprechen. Trotzdem haben alle Bergsteiger:innen etwas gemeinsam: Das Erleben von Angst und Sorge, draußen in der Natur. Angst ist eine Basisemotion, also ein Gefühl, das jeder von uns kennt.
Wie verändert sich diese Basisemotion, wenn wir in den Bergen unterwegs sind?
Lass uns einen Blick auf eine spezielle Angst beim Bergsteigen werfen, die „Höhenangst“. Sie ist eine biologisch eingeprägte, psychische Reaktion, sie hat seit jeher unser Überleben gesichert. Es ist eher unnatürlich, wenn wir die Angst vor der Höhe nicht empfinden. Im Gebirge und am Fels Angst zu verspüren, ist letztendlich „normal“.
Das bedeutet, wir alle brauchen die Angst? Egal ob Hobby-Sportler oder Profi-Bergsteiger?
Ob wir die Angst brauchen ist das eine, auf jeden Fall haben wir sie. Den Unterschied machen wir selbst damit, wie gut wir mit unserer Angst umgehen können. Bergsteigerinnen und Klettererinnen sind ausgeprägte Angstexperten. Sie zeigen ständig, wie gut es ihnen gelingt, Angst zurückzudrängen, um handlungsfähig zu bleiben. So erreichen sie ihre Ziele oder Bergerlebnisse; egal auf welchem Niveau.
Wenn wir alle die Angst kennen, dann bräuchten wir uns eigentlich nicht scheuen, sie offen in entsprechenden Situationen anzusprechen. Oder?
Manchmal gelingt es mir besser, mit Angst umzugehen, manchmal kann meine Seilpartnerin die Ängste und Sorgen besser zurückdrängen. Wie schon erwähnt, ist Angst aber ein zentrales Gefühl, das jeder Mensch kennt und am Berg ungleich verteilt sein kann. Ein offener Umgang mit Angst in Seilschaften oder Wandergruppen wird als unterstützend empfunden.
Wird uns der Umgang mit Angst in die Wiege gelegt?
In der Psychologie gilt die Angst als das am frühesten entwickelte Gefühl. Schon als Säugling, dann als Kleinkind und später als Heranwachsender erleben wir Angst als emotionale Reaktion. Neben der rein existentiellen Angst in gefährlichen Situationen erleben wir schon sehr früh die Angst vor dem Verlust der Bezugsperson und vor dem Verlust der Liebe der Bezugsperson. Die kindliche Lerngeschichte mit diesen Beziehungsängsten bestimmt weitgehend unsere spätere Persönlichkeitsentwicklung. Und ja: Unser erlernter Umgang im Vermeiden von angstauslösenden Situationen prägt unser zur Gewohnheit gewordenes Verhalten im Erwachsenenalter.
Noch eine sehr persönliche Frage: Wann hattest du das letzte mal Angst in den Bergen?
Ich quasi immer! Letztendlich ist es eine Frage der Dosis. Am meisten merke ich sie im Frühjahr: dann, wenn ich nach all den Skitouren zum ersten Mal wieder in einer Wand hänge. Mit 300 Metern Luft unter mir habe ich wieder aufs Neue ein mulmiges Gefühl. Daran gewöhne ich mich dann, im Sommer kann wieder gut damit umgehen.
In meinem Beruf als Bergführer ist Angst aber immer präsent und immer Thema. Sie übernimmt, wenn man sie personifiziert, die Rolle des Aufpassers und fordert mich auf, die Antennen auszufahren und aufmerksam zu sein.
Apropos umgehen: Was sind deine Tipps, wie wir mit Angst-Situationen am Berg umgehen?
Pauli Trenkwalders Tipps bei Angst am Berg
Gewohnheit
In kleinen Schritten können wir uns an Situationen gewöhnen, wie beispielsweise der Höhe und Ausgesetztheit am Berg. Wir können anfangs nur ein paar wenige Meter über dem Boden starten und Erfahrungen sammeln, wie wir unsere Angst zurückdrängen und kontrollieren. Anschließend gehen wir Schritt für Schritt weiter.
Keine Angst vor der Angst
Die Angst ist ein menschlicher Zustand, den der Körper eigentlich gut bewältigen kann. Oft entsteht das Problem schon vor der eigentlichen Angst-Situation: dann nämlich, wenn wir Angst vor der Angst haben.
Gut vorbereitet sein
Wissen, was uns erwartet: je besser wir vorbereitet sind, desto unwahrscheinlicher packt uns die Unsicherheit. Und wir können schon im Vorfeld überlegen, wie wir die Route gegebenfalls anpassen können. Zur guten Vorbereitung gehört auch körperliche Fitness, sowie ausgeruht und stressfrei ins Bergerlebnis zu starten.
Nichts überstürzen
„Ich plädiere dafür, dass wir entspannter mit Angst umgehen“, sagt Pauli Trenkwalder. Nicht hetzen, nichts überstürzen – und wenn es eben nicht geht, dann umdrehen und ein andermal wieder versuchen. „An manchen Tagen soll es eben nicht sein, und wir brauchen uns nicht zu zwingen“.
Fotos: Pauli Trenkwalder