Ein Beitrag von Gastautor Ernst Merkinger.
Mein Name ist Ernst. Ernst Merkinger, bin nach außen hin Weitwanderer, aber im tieferen Sinne ein Fan des Lebens. Warum? Weil ich auf die letzten Jahre sehr dankbar zurückblicke, in denen ich durch ein Abenteuer weitere Abenteuer erleben durfte, an Orte gekommen bin, an die ich sonst nicht gekommen wäre, Menschen getroffen habe, die ich sonst nicht getroffen hätte. Wie im Innen so im Außen, entfaltet sich etwas auf so wunderbare Weise, dass Vertrauen und Furchtlosigkeit zu einem selbstverständlichen Wegbegleiter werden… wenn man sich denn auf das Abenteuer Leben einlässt.
Manche gehen in DIE Arbeit, andere in DER Arbeit
Das Gehen und Schreiben sind nach der Rückkehr von meiner 3.500 Kilometer langen „Zu Fuß Reise“ von Wien nach Marrakesch zu meinem Beruf geworden, weshalb ich dieses Jahr den bekannten Weitwanderweg in Tirol – den Adlerweg – beruflich erkundet habe.
Ich mach mich ja gern a bissl lustig über die Tiroler:innen in meiner Verwandtschaft, die gar so stolz auf ihr Bundesland sind – pardon, auf ihr heiliges Land – aber je öfter ich hier auf Besuch bzw. Wanderschaft bin, umso mehr wird mir klar, was sie damit meinen könnten. Bzw. würde ich fast behaupten, dass da schon a bissl was Wahres dran ist. Denn was ist schon heiliger bzw. ursprünglicher als die Natur rund um den imposanten Wilden Kaiser, die mystischen Brandenberger Alpen bzw. den größten Naturpark Österreichs (727 km2) – das Karwendel? Und wo ist noch eine derartige Stille vorzufinden? Eben. Am Tiroler Adlerweg ist dies unbestritten der Fall, weshalb ich mich auf die erste Hälfte im Jahr 2020 (15 der 33 Etappen) und die restlichen im nächsten Jahr sehr gefreut habe und noch freu.
Hard Facts
- 33 Tagesetappen, mit anspruchsvollen Schwierigkeitsstufen, führt der Adlerweg quer durch Nord- und Osttirol
- 24 Etappen in Nordtirol, 9 Etappen in Osttirol
- 413 Kilometer Gesamtlänge mit fordernden Teil-Strecken und atemberaubenden Ausblicken erstreckt sich der Weg durch Tirol
- 31.000 Höhenmeter in Summe bergauf
- 28.000 Höhenmeter in Summe hinab
- 2.749 Meter hoch ist die Birkkarspitze – der höchste Punkt des Nordtiroler Adlerweges
- 2.828 Meter misst der höchste Punkt des Adlerweges auf der Gradötzscharte im Osttiroler Teil des Adlerweges
- 23 Kilometer Wanderweg ist die längste Strecke des Adlerweges auf der Etappe 16 in Nordtirol von Leutasch nach Ahrn. Diese Etappe wird als die leichteste Strecke des Adlerweges ausgezeichnet
- 8,5 Stunden beträgt die Gehzeit des zeitintensivsten Etappenabschnittes 11 vom Karwendelhaus zum Hallerangerhaus mit einem Höhenunterschied von 1.440m und einer Länge von 14km
- 33 Idyllische Bergseen befinden sich entlang der Strecke des Adlerweges
- 2005 ist die Geburtsstunde des Adlerweges
- 2018 wurde der Adlerweg unter die Top drei der schönsten Weitwanderwege Österreichs gewählt
Kurz und kompakt gesagt…
…ist der Adlerweg definitiv einer, vielleicht sogar der schönste Weitwanderweg, der mir bis dato untergekommen sind, dicht gefolgt vom Lechweg, Kitzbühler Alpen Trail, Berge Seen Trail oder dem sportlicheren Dolomitenhöhenweg 3. Er zeichnet sich für die unberührte Natur, die Wucht der 2000er und die qualitativ hochwertige Hüttenkultur (Buchackeralm, Karwendelhaus, Lamsjochhütte, Hallerangerhaus, etc.) aus. Eine gute Grundkondition und Trittsicherheit sind Voraussetzung, da einem 1.000 Höhenmeter bzw. 15 Kilometer pro Tag im Schnitt erwarten, kein Gepäcktransporter zur Verfügung steht und es ab und an kurze Passagen zu „kraxeln“ gibt. Ich würde „Weitwander-Neulingen“ z.B. die ersten 3 Etappen von St. Johann in Tirol bis zum Hintersteiner See/Kufstein für ein verlängertes Wochenende empfehlen. Dann bekommt man ein Gefühl für Mehrtages-Touren (Wieviel nehme ich mit? Halte ich das konditionell durch? etc.) Obendrein ist die Anreise mit dem Zug nach St. Johann in Tirol bzw. die Heimreise von Kufstein eine – auch bezüglich ihres CO2-Fußabdrucks – Ideale.
Über’s Wochenende ins Naturschutzgebiet Kaisergebierge eintauchen – Etappe 1 bis 3
Ausgangspunkt der 1.Etappe ist der Rummlerhof, ein 400 Jahre alter Alpengasthof, der in der Nähe von St.Johann/Tirol liegt. Anschließend taucht man in eine abwechslungsreiche Welt des Naturschutzgebiets Kaisergebirge ein. Als Highlights würde ich die imposanten Schleier-Wasserfälle, die sich über eine 80 m hohe Felswand ziehen, während sich nebenan Sportkletterer über schwierige Klettergärten hochziehen, und selbstverständlich nicht zu vergessen: die Almwiesen bzw. markanten 2.000er Spitzen vom Wilden Kaiser und der Kaiserschmarren auf der Gaudeamushütte.
Wer es sportlich angehen möchte, kann auch die letzten Meter bis zur Gruttenhütte „hochkraxln“, dort übernachten, sodass am Tag 2 mehr Zeit zum Verweilen am idyllischen Hintersteiner See bleibt. Am Nordostufer des Sees ist ein Strandbad, bei dem es erlaubt ist, in den 56 Hektar großen See, der in Privatbesitz ist, reinzuspringen. Knappe 4 Kilometer bzw. ca. 45 Minuten von dort entfernt, befindet sich die Pension Meier, wo es zünftige Tiroler Spezialitäten zu essen gibt. Allemal eine Übernachtung wert. Bilder von den Bergwiesen, den kaiserlichen Bergspitzen, die über 2.000m emporragen, bzw. der Duft der Latschenkiefer und Blumen-Bergwiesen kommen hoch, wenn ich an jene Etappe denke.
Auf Etappe drei gilt: „Timing ist alles“. Nicht nur, um einerseits den häufig nachmittäglichen Regenschauern zu entkommen, sondern andererseits auch, um die Klänge der größten Freiluftorgel der Welt, die zu mittags stets schon aus weiter Ferne zu hören ist, vor Ort, in Kufstein, zu erleben. Es ging sich trotz eines kleinen Abstechers auf das Gipfelkreuz des Kreuzbichls bei der Walleralm aus.
Honig um den Mund
Ja, Tirol hat schon ein paar von der Zivilisation abgeschiedene Ecken, die mich immer und immer wieder zum Staunen bringen, mich ruhiger werden lassen, mich daran erinnern, dass wir Natur, Natur sein lassen sollten und… ach ja, dass wir Teil dieses Wunders sind. Und dass wir eine Verantwortung haben. Dass jeder Schritt, jede Tat einen Impact auf uns selbst, auf unser Umfeld und eben unsere Umwelt haben. Dass, wie im Abenteuer selbst, Lebendigkeit dort innewohnt. Es gibt zu hoffen, dass wir all dies erfahren, um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können.
Hier geht’s zum Film „Zu Fuß durchs Salzkammergut“.
Der Weitwanderer, Autor und Meditations- Lehrer hat durch seine Fußmärsche nicht nur die Faszination des Gehens, sondern auch die Begeisterung des Schreibens für sich entdeckt. Zahlreiche Weitwanderwege (z.B. Alpe Adria Trail, Gastein Trail, Lechweg, etc.) erwandert und dokumentiert er für Magazine, auf Social Media und im TV.