Wer in den Bergen mit sicherem Gefühl wandern will, muss oft erst seine Höhenangst überwinden. Wenn mitten auf der Bergtour plötzlich die Angst zuschlägt, kann für dich selbst, aber auch für deine Begleiterinnen und Begleiter plötzlich eine sehr kritische Situation entstehen. Höhenangst muss nicht unbedingt auf einem exponierten Grat hochkommen. Nicht selten reichen schon vermeintlich harmlose Stellen, um von Akrophobie – so ist der Fachausdruck für Höhenangst – überwältigt zu werden. Wir erklären, wie du Höhenangst überwindest, indem du lernst, mit typischen Situationen umzugehen.
Warum Höhenangst entsteht
Ein gewisser Respekt vor Höhe ist ganz normal. Er ist uns angeboren und sogar überlebenswichtig – schließlich schützt dich eine solche natürliche Angst davor, in gefährliche Situationen zu geraten oder gar abzustürzen. Höhenangst ist sozusagen ein körpereigenes Warnsignal, schärft deine Aufmerksamkeit und lässt dich vorsichtig agieren, wenn du in die Nähe eines Abgrunds kommst. Wird die Höhenangst aber unverhältnismäßig stark, so handelt es sich um eine Phobie. Die Angst geht dann weit über die natürliche Reaktion hinaus und kann deinen Körper lähmen.
Höhenangst als Phobie (medizinisch auch Akrophobie genannt) wird durch einen Reiz ausgelöst, der nicht unbedingt mit einer tatsächlichen Gefahr verbunden ist. Wie stark ein solcher Reiz sein muss, um im Extremfall lähmende Höhenangst auszulösen, ist individuell. Ein fehlgeleiteter Schutzreflex tritt bei manchen Menschen schnell ein – oder sogar gar nicht. Bei manchen ist die sogenannte „Angsthöhe“ bereits nach zwei Stufen auf einer Leiter erreicht, andere bekommen auf einem Balkon im ersten Stock Höhenangst – oder eben auf einem schmalen Wanderweg mit Blick auf einen steilen Abhang. Es gibt Menschen, bei denen Höhenangst nur im Freien auftritt. Bei anderen kommt es auch hinter einer sicheren Glasscheibe oder einer genügend hohen Brüstung, etwa auf einer Aussichtsplattform, zu einer Angstreaktion, ohne, dass faktisch Schaden droht.
Auslöser für Höhenangst können entsprechend auch vielfältig sein und nicht pauschal benannt werden. Um die Höhenangst überwinden zu können, lohnt es sich jedoch, ihr individuell auf den Grund zu gehen. Höhenangst kann als Übersensibilität angeboren sein, jedoch auch durch ein negatives Erlebnis, wie einen unglücklichen Sturz in der Kindheit, erworben sein und bei geeigneten „Triggern“ immer wieder ausgelöst werden. Auch emotionale Erzählungen anderer und sogar Filme können Höhenangst begünstigen und schneller auftreten lassen.
So unterscheiden sich Höhenschwindel und Höhenangst
Höhenangst bzw. Akrophobie unterscheidet sich übrigens von sogenanntem Höhenschwindel. Höhenschwindel ist ein normales Phänomen, das entsteht, wenn sich keine fixen Bezugspunkte in deinem Blickfeld befinden. Dein Gleichgewichtssinn versucht dann durch leichtes Schwanken die Unsicherheit aufzufangen. Empfindest du beim Bergwandern ein Schwindelgefühl, mach am besten eine kurze Pause und fixiere mit den Augen einen festen Punkt. Das Gefühl sollte dann bald wieder verschwinden.

Höhenangst: Symptome
Die Symptome von Höhenangst können sich innerhalb weniger Sekunden oder Minuten bis zu ihrem Höhepunkt steigern. Eine Akrophobie drückt sich durch Atemnot, Herzklopfen, Herzrasen, Benommenheit, Schwitzen, Schwindel, Brustschmerzen oder ein Engegefühl in der Brust aus.
Hinzu kommt meist die Angst vor Kontrollverlust über den eigenen Körper, sodass Betroffene das Gefühl haben, jeden Moment in den Abgrund zu stürzen. In manchen Fällen geht eine solche Panikattacke so weit, dass Menschen fürchten, zu sterben und das Bedürfnis haben, den Notruf zu wählen. Auch das Zurückziehen in eine sichere Entfernung vom Abgrund kann dann nicht sofort Abhilfe schaffen.
Auch interessant: Sicherheit am Berg
Langfristig kann sich auch eine „Angst vor der Angst“ entwickeln. Das ist die Angst davor, noch einmal eine unkontrollierbare Angstattacke zu erleiden. Viele Menschen vermeiden deshalb jede Situation, die Höhenangst bei ihnen auslösen könnte. Doch selbst erfahrene Bergsteigerinnen und Bergsteiger können sich von dieser Meta-Angst blockiert fühlen.
Höhenangst überwinden – Schritt für Schritt
Die gute Nachricht für alle, die von Höhenangst geplagt sind: Ja, man kann Höhenangst überwinden!
Es kann wortwörtlich Überwindung kosten, aber dafür winkt ein sichererer, selbstbewussterer Umgang mit realen oder nur angstbehafteten Gefahren.
Das Wichtigste bei der Angst vor der Angst ist, sich seinen körperlichen Impulsen zu stellen. Höhenangst löst den dringenden Impuls aus, der Situation so schnell wie möglich zu entfliehen. Plötzliche Fluchtimpulse führen jedoch auf der psychischen Ebene zu einer falschen Verankerung der Gewissheit, tatsächlich einer großen Gefahr entkommen zu sein. Höhenangst kann so zu einer Art Reflex verfestigt werden und sich damit gegen die Person wenden, die sich eigentlich recht einfach auf besonnene Weise in Sicherheit bringen könnte.
Um dieses reflexhafte Fluchtverhalten zu ändern, nützt es, ganz bewusst die eigene Komfortzone zu verlassen – nicht mit Schwung und Anlauf, sondern in kleinen Schritten. Konsequent gilt es über einen längeren Zeitraum immer wieder die Akzeptanzgrenzen hinauszuschieben.
Folgende Techniken können dir dabei sowohl helfen eine akute Angstsituation zu überwinden als auch dich längerfristig zu wappnen und deine Höhenangst dauerhaft zu überwinden.
Auch interessant: Wandern in der Gruppe
Techniken, um akute Höhenangst zu überwinden
Wenn du beim Wandern in den Bergen akut von Höhenangst heimgesucht wirst oder dich sogar eine Angstattacke befällt, ist das mehr als unangenehm. Immerhin kann es passieren, dass du dich weder vor noch zurück traust. Dann können folgende Techniken helfen:
• Verschaffe deinen Füßen und Händen festen Halt.
• Wenn es möglich ist, setz dich auf den Boden.
• Atme tief ein und aus, tu dies so gut es geht immer langsamer. Schließe, sobald es geht, deinen Mund und atme durch die Nase ein und aus. Das beruhigt zusätzlich.
• Auch Singen oder Pfeifen lenkt dich ab und sorgt gleichzeitig für einen gleichmäßigen Atem und lässt die akute Höhenangst überwinden und abklingen.
• Richte deinen Blick nicht in die Tiefe, sondern immer auf den Weg oder auf einen festen Punkt etwa auf Augenhöhe in deiner Nähe.
• Ein Gespräch mit deiner Wanderbegleitung kann die Situation weiter beruhigen.
• Ein Sicherungsseil vermittelt weiter das Gefühl von Halt und Sicherheit.
• Bleibe, falls möglich, solange in der Situation, bis die Höhenangst abflaut und du dich wieder sicher fühlst. Mache dir klar, dass die Überwindung der Höhenangst eine tolle Leistung war, die du jederzeit wieder aufrufen kannst, um dich zu stärken. Das unterstützt auch den langfristigen Übungseffekt, um die Höhenangst immer besser in den Griff zu bekommen und zu überwinden.

Vorbeugende und langfristige Maßnahmen gegen Höhenangst
• Begib dich zur Übung immer wieder bewusst und kontrolliert in Situationen, die Höhenangst bei dir auslösen können und begegne der Angst, bis du dich sicher fühlst (Brücken, Aussichtsplattformen etc.).
• Beziehe Vertrauenspersonen in dein Problem ein und bitte sie, dich bei deinen Übungen zu begleiten.
• Achte schon vor ausgesetzten Stellen auf deinen Atem. Atme kräftig ein und aus.
• Richte deinen Blick immer auf den Weg und nicht in die Tiefe.
• Du kannst dir auch professionelle Hilfe bei einem Psychologen oder einer Psychologin suchen. Der Deutsche Alpenverein bietet spezielle geführte Wanderungen zur Überwindung von Höhenangst an.
Medikamente gegen Höhenangst?
Es gibt zwar Beruhigungsmittel, die gegen Höhenangst helfen können. Bist du in den Bergen unterwegs, solltest du sie jedoch auf keinen Fall einnehmen! Die Einnahme beruhigender Medikamente kann dein Reaktionsvermögen beeinträchtigen. Beim Bergwandern ist es jedoch essenziell, dass deine Sinne geschärft sind. Ansonsten leidet deine Trittsicherheit und das kann lebensgefährlich werden.
Selbst pflanzliche Mittel wie Baldrian oder Johanniskraut wirken langfristig eher kontraproduktiv bei Höhenangst. Auch wenn sie kurzfristig einen angstmildernden Effekt haben, sorgen sie womöglich dafür, dass sich die Höhenangst in deinem Kopf verfestigt und in manchen Fällen sogar verschlimmert.
Fazit: Mit einem langfristigen Plan überwindest du deine Höhenangst
Höhenangst überwinden ist ein Prozess, den du mit einem Plan leichter angehen kannst. Mit regelmäßigen Übungen lernen dein Kopf und dein Körper, dass die empfundene Angst unbegründet ist. Geduld mit dir selbst ist dabei eine Grundvoraussetzung. Es bringt nichts, dir zu viel auf einmal zuzumuten. Höhenangst nimmt mit zunehmendem Alter meist ganz von allein ab – ein weiterer Lichtblick, um deine Höhenangst zu überwinden.