Die Hügel und Wälder des Erzgebirges erstrecken sich südlich von Dresden, Chemnitz und Zwickau entlang der deutsch-tschechischen Grenze. Im Osten gehen sie in die Felsturm-Landschaft des Elbsandsteingebirges über – und während es das auf die Bucket Lists von Reisenden aus der ganzen Welt schafft, verirren sich ins Erzgebirge noch nicht einmal alle Einheimischen. Die beste Voraussetzung für eine ungestörte Mehrtageswanderung auf einem Weg, der sich durch die ganze Region zieht.
Schöner kann es wohl kaum mehr werden, denke ich mir. Und das schon auf den allerersten Kilometern. Kurz, nachdem ich die letzten Häuser des kleinen Orts Geising hinter mir gelassen habe. Während meine Beine an diesem Morgen noch schwer sind und ich mir ebenso gut vorstellen könnte, noch eine zweite Tasse Kaffee zu trinken, passiert es hier schon, dass ich mich in einer endlosen Hügellandschaft wiederfinde. Zwischen Wildblumen, Vogelgezwitscher und Wäldern, die sich bis zum Horizont ziehen.
Der Kammweg hat mich gepackt.
Drei Tage lang werde ich auf dem Kammweg Erzgebirge-Vogtland unterwegs sein. Der führt als ausgezeichneter Qualitätswanderweg auf 285 Kilometern von Altenberg im Erzgebirge bis nach Blankenstein in Thüringen. Über Hügel und Wiesen, durch Wälder, vorbei an Seen und aussichtsreichen Dörfern. Diese drei Tage werden nicht genug sein, das ahne ich schon auf den ersten Kilometern.
Was es ist, das mich hier so begeistert, erzähle ich in diesem Blogbeitrag.
Tag 1 | Von Geising nach Holzhau
Der Kammweg ist da, wo die Natur noch so viel Platz bekommt, dass sie hier und dort sogar in Weite übergeht.
Das ist mein erster Eindruck von dieser Wanderung, auf den ersten Kilometern schon, inmitten des ersten Hügelmeers.
Es ist auch dieser Eindruck, der sich nicht nur durch diese erste Etappe zwischen Geising und Holzhau ziehen wird – sondern durch jeden einzelnen Tag.
Je weiter ich an diesem Tag laufe, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass diese erste Etappe des Kammwegs eine ziemlich gelungene Vorschau auf all die Erlebnisse ist, die auf den nächsten knapp 300 Kilometern folgen würden. Mal geht es einen Aussichtsberg nach oben, mal Kilometer für Kilometer durch geschützte Wälder. Mal durch ein kleines Dorf, in dem die Nussknacker an den Häuserfassaden und der Skilift die einzigen Indizien auf Wintertourismus sind. Mal vorbei an Wiesen und einem von Heidelbeeren gesäumten See, der mich gedanklich kurz nach Schweden katapultiert.
Dabei ist es natürlich nicht Schweden, sondern Tschechien, das währenddessen oft nicht weiter als einen Steinwurf entfernt ist. Der Grenzbach gluckert gleich neben dem Wanderweg, hier und da führt ein Wegweiser nach Böhmen über eine kleine Holzbrücke. Weiß bemalte Grenzsteine zeigen an, auf welcher Seite man sich befindet.
Und so verstreichen Kilometer für Kilometer, Stunden für Stunden, ohne, dass ich andere Wanderer treffe.
Abends in der Unterkunft erzählt mir die Wirtin, dass es auf dem Kammweg nicht nur einzelne Kilometer und Stunden gebe, in denen Wanderer niemanden treffen – sondern ganze Tage. Das lässt mich umso mehr gespannt sein auf Tag zwei.
Tag 2 | Von Neuhausen nach Olbernhau
Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich mir kaum vorstellen kann, gerade mitten in Europa unterwegs zu sein. Noch dazu in einer Region, in der die nächste Großstadt eigentlich gar nicht allzu weit entfernt liegt.
Dresden ist von hier in weniger als einer Stunde zu erreichen – gefühlt aber auf einem anderen Planeten.
Gestartet habe ich den heutigen Wandertag im hübschen Örtchen Neuhausen. Blickt man auf die offizielle Etappenempfehlung, habe ich mir die zweite Hälfte von Etappe Nummer 3 plus Etappe Nummer 4 vorgenommen.
Schon auf den ersten Kilometern schlängelt sich der Kammweg stetig bergauf: immer Richtung Schwartenberg. Auf seiner Kuppe thront ein Berggasthaus und die Aussicht reicht 360 Grad weit über die Dächer Neuhausens, über die von Löwenzahn gesäumten Wiesen, über die ich gekommen bin, zu den Hügeln, die ich gestern gequert habe und auf den Wald, in den ich für die nächsten Kilometer abtauchen werde.
Auch auf dieser Etappe an diesem Bilderbuch-Frühlingstag treffe ich auf den Kilometern zwischen dem Kurort Seiffen, zwischen Hirschberg und Olbernhau keine fünf Menschen. In den Momenten, in denen mir hinter der nächsten Kurve doch wer entgegenkam, erschrecke ich ziemlich: weil man hier irgendwann aufhört, mit Gesellschaft zu rechnen.
Für alle, die am heutigen Etappenziel noch ein bisschen auf den Beinen bleiben können, empfiehlt sich im Anschluss an die Wanderung ein Besuch in der Saigerhütte Olbernhau/Grünthal. Sie war einst das Zentrum der Kupferverarbeitung in Sachsen und ist heute ein sehr hübsches Freilichtmuseum. Die alten Gebäude sind heute allesamt denkmalgeschützt und Teil des UNESCO-Welterbe.
Tag 3 | Durch das Schwarzwassertal
Um mich vom Kammweg zu verabschieden, habe ich mir für meinen dritten Tag keine der offiziellen Etappen rausgesucht, sondern einen Abstecher. Einen, der zu vielversprechend klingt, um ihn links liegen zu lassen:
Das Naturschutzgebiet Schwarzwassertal gräbt eine tiefe Schlucht in die Felsen zwischen Pobershau und der tschechischen Grenze. Hier zeigt sich das Erzgebirge von einer ganz anderen Seite. Statt in eine endlose Hügellandschaft schafft es der Blick hier nur bis zur nächsten Felswand. Die Felsen nämlich ragen zahlreich rechts und links in die Höhe, zwischen ihnen gluckert die schwarze Pockau.
Diese wilde Landschaft können wir auf verschiedenen Wegen erkunden – auf breiten Karrenwegen, die immer entlang der Pockau nach hinten führen. Oder auf kleinen Waldpfaden, die vom Plateau der Felsen aus einen Blick ins wilde Tal bieten.
Ich schnüre an diesem Morgen meine Wanderschuhe bereits, als die Sonne noch noch am Aufgehen ist – damit ich genug Zeit habe, vor meiner Abreise verschiedene Wege im Schwarzwassertal zu erkunden.
Ich schaue hier, staune dort. Und stelle dann beim Blick auf meine GPS-Uhr fest, dass ich für 1,5 Kilometer gerade 40 Minuten gebraucht habe. Meine Uhr hat daraufhin ausgerechnet, dass ich diese Etappe nach ungefähr 19 Stunden beenden werde.
Ich nehme mir also vor, mehr zu wandern, als Pausen zu machen. Aber erst, nachdem ich ausgiebig den Blick vom Katzenstein genossen habe. Ein riesiges Felsplateau oberhalb der Baumkronen, das ein Panorama über den Wald bis nach Tschechien freigibt.
Würde ich hier das Tal weiter nach hinten laufen, wäre ich ziemlich genau auf der deutsch-tschechischen Grenze wieder auf den Kammweg getroffen. Und erneut eingetaucht in das stete Auf und Ab, in die Natur, die hier noch so viel Platz bekommt, dass sie manchmal sogar in Weite übergeht.
Zum Nachwandern
Der Kammweg Erzgebirge-Vogtland
In insgesamt 17 Etappen ist der 285 Kilometer lange Kammweg Erzgebirge-Vogtland eingeteilt. 183 Kilometer verlaufen im Erzgebirge, 76 im Vogtland und 26 Kilometer in Thüringen. Einen guten Überblick über die gesamte Route gibt’s auf der Seite der Region.
Die Etappen, die ich gelaufen bin, findest du zum Nachwandern auf komoot:
An- und Abreise
Der offizielle Startpunkt des Kammwegs in Geising ist nur eine rund einstündige Zugfahrt von Dresden entfernt – und auch im Zielort Blankenstein gibt es einen Bahnhof. Die Ortschaften zwischendurch sind ebenso immer wieder an das Schienennetz angebunden, oder mit dem Regionalbus erreichbar.
Orientierung
Wie immer habe ich mir meine Route vorher als geplante Tour auf komoot angelegt – und den Track dann auf meine GPS-Uhr gezogen. Nötig ist das auf dem Kammweg Erzgebirge-Vogtland aber nicht, weil die Route wunderbar in beide Richtungen ausgeschildert ist. Auf den 285 Kilometern gibt es ganze 4.500 Markierungen. Sich zu verlaufen ist quasi unmöglich.
Übernachtung & Verpflegung
Die Route des Kammwegs ist so angelegt, dass wir für die Übernachtungen immer ausreichend Möglichkeiten haben. Sowohl, wenn wir der offiziellen Etappen-Empfehlung folgen, als auch, wenn wir die Route auf unsere Bedürfnisse anpassen. Zur Auswahl haben wir zum Beispiel gemütliche Berggasthöfe und tolle Gasthäuser in den Tälern.
Auch hier macht sich das Siegel Qualitätswanderweg bemerkbar: weil die Gastgeber entlang des Weges auf Wandertourismus eingestellt sind. So scheuen sich viele beispielsweise nicht, einen Transfer zu übernehmen, wenn wir eine Etappe anderswo starten wollen. Und das Frühstück fällt besonders üppig aus – mit dem Hinweis, dass wir uns doch auch gleich eine Brotzeit für unterwegs mitnehmen sollen.
Ebenfalls lesenwert: Allein über die Alpen – Vom Tegernsee nach Sterzing.
Weitere Impressionen vom Kammweg im Erzgebirge: