Sie sind die letzten Gipfel, bevor die Alpen an ihrem östlichsten Ende ins flache Land auslaufen: die Wiener Alpen. Der Wiener Alpenbogen, ein insgesamt 300 Kilometer langer Zweitwanderweg, erschließt nicht nur die Region – sondern ist auch noch ein echter Geheimtipp für alle, die tagelang in die Bergwelt abtauchen wollen, ohne auf den viel begangenen Wegen unterwegs zu sein. Acht Tage lang war ich in dichten Wäldern, zwischen endlosen Hügeln und im alpinen Gelände der Wiener Alpen unterwegs. In diesem Blogbeitrag erzähle ich, Etappe für Etappe, was mich besonders begeistert hat.

Tag 1 | Von Mönichkirchen zum Feistritzsattel

Vor mir breitet sich zum ersten Mal auf dieser Tour Weitblick aus – und es ist noch nicht einmal acht Uhr morgens. Überrascht bin ich darüber nicht, denn es ist nicht mein erstes Mal in den Wiener Alpen: In der östlichsten Region Österreichs, in Niederösterreich, war ich bisher zwei Mal mit dem Fahrrad unterwegs. Und habe die Region auf EuroVelo-Radwegen erkundet, die zum Netz der europäischen Fernradwegen gehören. Dass Niederösterreich vor allem mit viel Platz und mit weiten Blicken wartet, das weiß ich seit meinen ersten Kilometern im Sattel. Und trotzdem komme ich nicht umher, genau darüber auch jetzt wieder zu staunen. Weil es keinen Kilometer gedauert hat, weil wir wirklich gerade erst losgelaufen sind, und bereits bis zum Horizont sehen können.

Kilometer für Kilometer, Stunde um Stunde, wandern wir über den Kamm des Hochwechsel. Die Landschaft liegt uns buchstäblich zu Füßen. Das ändert sich beinahe auf den gesamten 16 Kilometer dieser ersten Etappe nicht. Solange, bis wir kurz vor dem Feistritzsattel in den Wald abtauchen.

Weitblick auf Etappe 1 von Mönichkirchen zum Feistritzsattel.

Tag 2 | Vom Feistritzsattel nach Semmering

Wieder liegen 16 Kilometer an diesem Tag vor uns – und wir finden so gut in den Rhythmus, dass wir sogar noch ein paar drauflegen. Unseren Etappenhöhepunkt haben wir die ganze Zeit lang vor uns, gestern schon hat er sich immer wieder in unser Blickfeld geschlichen: Der Sonnwendstein mit dem rot-weißen Sendemast auf seinem Gipfel ist Semmerings Panoramaberg. Und für uns so etwas wie ein Kompass, die Richtung, in die wir laufen, der letzte Anstieg für diese Etappe. Denn gleich dahinter liegt Semmering am Talboden. Es gibt einen direkten Weg, wir aber entscheiden uns für den Umweg: für einen Abstecher auf den Erzkogel.

In einer ausgedehnten Gipfelpause, die wir ganz für uns alleine haben, genießen wir den Rundumblick auf die Etappe von gestern, und auf die dominanten Bergmassive von Rax und Schneeberg. Sie sind der Ausblick auf das, was wir in den kommenden Tagen erkunden werden.

Gipfel des Sonnwendstein mit seiner rot-weissen Antenne.
Rast am Sonnwendstein.

Tag 3 | Von Semmering nach Prein an der Rax

Heute geht es um Geschichte. Um Landschaft auch, denn die ist Teil dieser Historik. Die Wanderwege schlängen sich an Hängen entlang, durch dichte Wälder und über sanfte Hügel. Und immer wieder taucht vor uns ein Viadukt auf.

Ich kann mit ziemlicher Gewissheit sagen: Noch nie hab ich so viele Viadukte an einem einzelnen Tag zu sehen bekommen. Angefangen mit einem, das in der Vergangenheit unzählige Male auf einen Geldschein gedruckt wurde. Beim Aussichtspunkt 20-Schilling-Blick liegt das fast 200 Meter lange und 46 Meter hohe Viadukt Kalte Rinne vor uns. Wir haben genau die Perspektive, die einst als Motiv Österreichs 20-Schilling-Note zierte.

Lesetipp: Allein über die Alpen – Wie ich über zwei Grenzen lief, um meine eigenen zu erreichen

Auch heute noch tuckern Züge über das Viadukt und durch den Berg – beidem kommen wir immer näher, je länger wir laufen. Bis wir die Viadukte später am Tag durchschreiten, hinter uns lassen, und direkt vor uns das Bergmassiv in den Himmel ragt, zwischen dessen Felsen wir die nächsten zwei Tage verbringen werden.

Weitwandern in Niederösterreich: Viadukt auf dem Wiener Alpenbogen.
Franzsika und Felix auf einem Aussichtspunkt auf dem Wiener Alpenbogen.
Viadukte auf dem Wiener Alpenbogen von weitem.

Tag 4 | Von Prein an der Rax zum Habsburghaus

Je weiter sich die Sonne dem Horizont nähert, desto lauter zirpen die Grillen.
Es ist neun Uhr abends, was bedeutet, dass ich mittlerweile seit 14 Stunden in meinen Wanderschuhen stecke. Unser Tagesziel für heute, das Habsburghaus, ist nur einen Steinwurf entfernt. Das wären zwei gute, völlig ausreichende Gründe, um die Schuhe abzustellen und das Schlaflager zu beziehen. Gleichzeitig aber gibt es einen Grund, um das noch nicht zu tun – das ist die mittlerweile tief orange Sonne, die gerade untergeht. Und wir haben einen Platz in der ersten Reihe, um den Tag in den schönsten Farben ausklingen zu lassen.

Franziska und Felix kurz vor dem Habsburghaus.
Franziska und Felix genießen den Sonnenuntergang.

Dieses Spektakel wird dieser Etappe nur gerecht. Denn auch angefangen hat sie mit einer beeindruckenden Kulisse: mit dem Bergmassiv der Rax, das wir ab den ersten Metern direkt vor uns haben. Der Anblick der gewaltigen Felswand löst in mir zwei Gefühle aus: ein tiefes Staunen über diese Naturgewalt. Und Ehrfurcht, fast Scheu – denn genau diese Naturgewalt werden wir im Laufe des Tages erklimmen.
Als wir uns Serpentine für Serpentine nach oben arbeiten, steht die Luft zwischen den Felsen und Latschenkiefern. Von hier oben breitet sich ein Rückblick vor uns aus: wir sehen bis zum Kamm des Hochwechsel, auf dem wir unsere Wanderung gestartet haben. Ein paar Höhenmeter noch, dann können wir zum ersten Mal auf die andere Seite der Rax blicken. Sie ist die Vorschau auf das, was uns in den kommenden Tagen erwarten wird.

Franziska und Felix vor dem Bergmassiv des Rax.
Vor Felix türmt sich die Felswand des Rax auf.
Franziska und Felix am Gipfelkreuz der Preinerwand (1.783 m) während der Dämmerung.

Tag 5 | Vom Habsburghaus nach Reichenau

Das Habsburghaus thront auf der Gipfelkuppe des Grieskogel. Das Tal fühlt sich hier oben, umgeben von einem Meer aus Bergen, unendlich weit weg an. Der Himmel erstaunlich nah.
Die Bänke und Stühle auf der Terrasse vor dem Haus sind wie Logenplätze für den Sonnenuntergang. Zwischen dem Sonnenaufgang und dem Habsburghaus liegt hingegen ein Berg.

Wir stellen den Wecker an diesem Morgen auf 4:00 Uhr, um diesen Berg zu umrunden und auch den Sonnenaufgang in dieser Höhenlage bestaunen zu können.

Als wir durch die Doppeltür des Habsburghauses raus in die kühle Nachtluft treten, liegt die Welt stumm vor uns. Es dämmert gerade erst, ist aber genau so hell, dass wir unsere Stirnlampen nicht einzuschalten brauchen. Gerade, als wir um eine Flanke biegen und zum ersten Mal gen Osten sehen, geht alles ganz schnell. Der Himmel ist blassrosa, als hinter den Bergspitzen die glühende Sonne auftaucht.

Sonnenaufgang auf dem Wiener Alpenbogen.

Mit jedem Auslösen meiner Kamera fallen mehr Lichtstrahlen auf die Linse.
Gerade, als die letzten Farben des Sonnenaufgangs vom Himmel verschwunden sind, ziehen dichte Wolken auf.
Und als uns Stunden später die ersten Wanderer entgegenkommen, ist der Zauber zuvor so leise und heimlich passiert, als hätten wir all das nur geträumt.

Felix an einer seilversicherten Stelle auf der Etappe vom Habsburghaus nach Reichenau.

Tag 6 | Von Reichenau zum Naturfreundehaus Knofeleben

Ein bequemes Bett, ein Liegestuhl im Garten, ein üppiges Frühstücksbuffet mit frisch gestresstem Saft, Pizza am Abend und ein Supermarkt – alles in Reichweite, alles nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Wir nutzen den Komfort in Reichenau an der Rax für einen Pausentag. Es regnet, wir legen die Beine hoch – und freuen uns auf die Sonne am nächsten Wandertag, die der Wetterbericht vorhersagt.

Der Wanderweg folgt in Reichenau dem Bahngleis, bis er schließlich auf einen schmalen Steig abbiegt und immer am Wasser entlang führt. Über kleine Treppen und Brücken geht es mal auf, mal ab. Vorbei an glasklarem Wasser und durch dichten Wald. Immer wieder führen schmale Pfade hinunter zu kleinen Stränden, an denen die Grillen zirpen und die Vögel zwitschern.

Der Fluss ist auf der Etappa von Reichenau zum Naturfreundehaus Knofeleben lange Zeit Begleiter von Franziska und Felix.
Rast am Fluss auf der Etappe von Reichenau zum Naturfreundehaus Knofeleben.

Da vergessen wir glatt, dass wir zwar schon zwei Drittel der heutigen Strecke zurückgelegt haben, aber so gut wie keinen einzigen Höhenmeter. Von 830.
Überrascht sind wir deswegen nicht, als wir uns ein paar Momente später auf dem recht steilen Miesleitensteig umsehen, und das Wasser zwischen den Blättern und Baumstämmen nur noch vage erahnen können.
Der Endspurt fordert uns einiges an Kondition ab, als wir dann aber an unserem Tagesziel ankommen, dem Naturfreundehaus Knofeleben, fühle ich mich ein klein bisschen wie Alice im Wunderland.

Das Naturfreundehaus Knofeleben hat mir ganz unerwartet eins meiner bisher allerschönsten Hüttenerlebnisse beschert: Das Willkommen der Wirtsfamilie ist unglaublich herzlich, das Essen außerordentlich abwechslungsreich und lecker – und die kleinen Schlafkammerl mit dem Bett unter einem riesigen Dachfenster könnten gemütlicher nicht sein.

Blick hinunter zum Fluss, der nun ganz klein erscheint.
Fernwandern in Niederösterreich: Felix an einem Seilversicherten Aufstieg auf der Etappe von Reichenau zum Naturfreundehaus Knofeleben.
Das Naturfreundehaus Knofeleben von oben.

Tag 7 | Vom Naturfreundehaus Knofeleben zum Almreserlhaus

Beim Frühstück an diesem Morgen trinke ich einen extra Schluck Saft, esse einen extra Löffel Müsli und packe mir für später eine extra Banane in den Rucksack. Denn heute steht die Etappe bevor, vor der ich am meisten Respekt habe: Weil die heutige Wegstrecke die ist mit den meisten Höhenmetern im Auf- und Abstieg.

Weitwandern in Niederösterreich: Franziska beim Wandern auf dem Wiener Alpenbogen.

Und dann?
Dann geht alles irgendwie doch ganz schnell.
Und wir überschreiten mit dem Hochschneeberg den höchsten Gipfel Niederösterreichs. Während wir uns auf allen Schritten vorher schon ausmalen, wie das Panorama von oben wohl sein mag, nimmt der Wind mit jedem Höhenmeter zu. Manche Böen sind so stark, dass ich oben auf dem Kamm beinahe aus dem Gleichgewicht komme, wenn mein Fuß wacklig steht. Um uns herum sehen wir kaum noch etwas, denn mit dem Wind kamen die Wolken und der Nebel. Als wir schließlich so weit oben sind, wie es in Niederösterreich nur irgendwie möglich ist, sehe ich nicht weiter, als bis zu Felix, der ein paar Meter vor mir läuft.

Eilig, nach unten zu kommen, haben wir es trotzdem nicht. Diese wilde, ungezähmte Seite Niederösterreichs ist nämlich auch ziemlich schön.

Weitblick auf der Etappe vom Naturfreundehaus Knofeleben zum Almreserlhaus.
Franziska auf dem Gipfel des Hochschneeberg in Niederösterreich.

Tag 8 | Vom Almreserlhaus nach Puchberg

Heute zeigt sich Niederösterreich so wild, dass wir unsere Kameras und alles andere, was sehr empfindlich auf Nässe reagiert, doppelt eingepackt ganz tief im Rucksack verstauen. Nebel und Sturm von gestern sind geblieben – und zu ihnen hat sich Regen gesellt.

Es dauert nur ein paar Schritte, bis wir von oben bis unten klitschnass sind. Und immer wieder müssen wir nach hinten greifen, um bei besonders starken Sturmböen die Regenhüllen unserer Rucksäcke festzuhalten, weil die so laut peitschen, als würden sie gleich wie Fallschirme davon segeln.
Wenn ich mich mit ausgebreiteten Armen gegen den Wind lehne, falle ich nicht um, obwohl mich das Gewicht auf meinem Rücken nach vorne drückt.
Als wir später in den Wald absteigen, kommen wir in den Schutz der Bäume. Den Wind spüren wir nicht länger, sondern hören ihn nurmehr. Der Regen hört zwischendurch auf und ich nutze den stummen Moment, um wenigstens ein Erinnerungsfoto an diese letzte Etappe zu machen. Eine Momentaufnahme, die so gar nicht zu all den stummen Weitblicken, den knalligen Blumen, den orangen Sonnenunter- und Sonnenaufgängen passen will, die ich all die Tage zuvor andauernd fotografiert habe.

Franziska auf der letzten Etappe des Wiener Alpenbogens, vom Almreserlhaus nach Puchberg.

Zum Nachwandern

Der gesamte Weg

Der Wiener Alpenbogen führt auf insgesamt 300 Kilometern durch den Süden Niederösterreichs. Offiziell ist er in 19 Etappen eingeteilt, die alle so geplant sind, dass sie jeweils an einer bewirtschafteten Unterkunft oder sogar in einem kleinen (oder größeren) Ort starten und enden. Die Wege sind als T1 oder T2 klassifiziert und führen durch weite Hügellandschaften, über breite Kämme, durch Wälder und über Wiesen.

Meine Route

Gemeinsam mit Felix bin ich acht der insgesamt 19 Etappen gewandert. Nach der offiziellen Etappenempfehlung waren das die Etappen 8 bis 15. Auf meinem komoot-Profil findest du die einzelnen Touren zusammengefasst als übersichtliche Collection. Inklusive der Highlights entlang des Weges und Download des GPS-Tracks:

An- und Abreise

Für jede Weitwanderung, bei der Start und Ziel dutzende oder gar hunderte Kilometer voneinander entfernt liegen, empfiehlt es sich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln an- und abzureisen. Wer den Wiener Alpenbogen an der offiziellen Etappe 1 in Katzelsdorf startet, kommt wahrscheinlich mit der Bahn in Wiener Neustadt vorbei – ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt – und reist dann mit der Regionalbahn weiter. Und auch andere Orte entlang des Wiener Alpenbogens haben eine Anbindung ans Netz der öffentlichen Verkehrsmittel.

Orientierung

Alle 19 Etappen des Wiener Alpenbogen sind markiert – die blau-weißen WAB-Wegweiser finden sich an Bäumen, Zäunen und Infotafeln. Ich empfehle trotzdem immer, dass wir uns auch selbst orientieren können. Zum Beispiel, indem du dir die Route vorher für die Offline-Nutzung als GPX-Dateien herunterlädst.

Übernachtung & Verpflegung

Einige Etappen des Wiener Alpenbogens sind so eingeteilt, dass Unterkünfte auf dem Weg liegen. Achtung: je nach Etappenziel, kann das wirklich nur eine einzelne Unterkunft sein und entlang weniger Etappen liegen keine Unterkünfte am Weg. Hier lohnt es sich vorauszuplanen und die Unterkünfte rechtzeitig anzufragen. Ähnlich ist es bei Einkehrmöglichkeiten. Für die spontane Stärkung zwischendurch habe ich deshalb immer einen Proviant dabei.

Weitere Impressionen von Franziskas und Felix‘ Weitwanderung auf dem Wiener Alpenbogen in Niederösterreich:

Wanderpfad über Wiesen und Wald auf dem Wiener Alpenbogen während der Etappe 1 von Mönichkirchen zum Feistritzsattel.
Franziska wandert auf Etappe 2 vom Feistritzsattel nach Semmering einem schmalen Pfad entlang.
Blumen neben einem Wanderpfad auf dem Wiener Alpenbogen.
Wanderweg auf Etappe 4 von Prein an der Rax zum Habsburghaus. Wiener Alpenbogen
Franziska und Felix auf dem Wanderweg zum Habsburghaus.
Sonnenaufgang auf dem Wiener Alpenbogen auf Etappe 5 vom Habsburghaus nach Reichenau.
Pfannenkuchensuppe auf dem Naturfreundehaus Knofeleben.
Berglandschaft auf dem Wiener Alpenbogen.