1. Michi, bekommt man als Schweizer die Liebe zu den Bergen schon in die Wiege gelegt?
Ich glaube, das kann man nicht verallgemeinern. Bei mir war der erste Auslöser sicher mein Vater. Er war ein begeisterter Strahler (alpiner Kristall- und Mineraliensucher) und Fossiliensammler und viel in den Alpen unterwegs. Das Schweizer Fernsehen berichtete sogar über ihn, weil er ein Dinosaurier-Ei mit inwendigem, intaktem Embryo fand. Mich begeistern die Schweizer Berge – 48 Viertausender haben wir zu bieten! Das Klettern in Felswänden, das Balancieren über ausgesetzte Kreten (schweizerisch für Gebirgskamm oder -grat, Anm. d. Redaktion), das Klimpern der Karabiner, das Knirschen der Steigeisen auf dem Gletscher.
2. In deiner Vita stehen schon zahlreiche Berggipfel und andere interessante Ziele – so hast du zusammen mit dem Schweizer Bergführer Samuel Anthamatten das Matterhorn bestiegen, warst schon auf dem Mont Blanc und durftest als einer von wenigen in Vietnams größtem Höhlensystem Son Doong in die Tou Lan Caves herabsteigen.
Gibt es da überhaupt noch Herausforderungen, die dich reizen?
Die Herausforderungen hören nie auf, so lange ich atme. Ich lebe nach dem Motto „terra inkognita“. Die Lust, Neuland oder neue Gipfelziele zu entdecken, wird mich immer begleiten – im Alltag wie auch auf Reisen in ferne Länder. Wie etwa, mit dem Kajak durch den Urwald von Laos zu paddeln.
3. Die meisten deiner Touren sind aufwendiger und setzen eine genaue Planung voraus. Wie bereitest du dich auf eine bevorstehende Tour vor?
Viele meiner Expeditionen, Reisen in entlegenste Gebiete und Touren plane und unternehme ich zusammen mit Caroline Micaela Hauger, Journalistin und Bergfotografin. Die nächsten Ideen schmieden wir oft schon, während wir anderorts unterwegs sind. Dies lässt uns jeweils gedanklich nicht mehr los, darauf folgen dann die Projektidee und die Durchführung. Das Ganze ist ein Prozess, der so spannend ist wie das Erreichen des Gipfels selbst.
4. Welche Ausrüstung darf bei dir auf einer Tour nie fehlen?
Die Schweizer Toblerone-Schokolade, als Geschenk für Bergkollegen, Freunde und Einheimische oder als genussvolle Belohnung während der Tour. In Sachen Ausrüstung sind bei mir immer die genialen, multifunktionellen Stausäcke von Tatonka in diversen Größen mit dabei. Natürlich auch der passende Rucksack von Tatonka je nach Aktivität.
Bei Reisen zusätzlich der Barrel Roller in Größe L. Unglaublich, wie stabil dieser Trolley ist.
5. Was war deine bisher schönste Tour und warum?
Jede Tour ist einzigartig, deshalb ist es für mich unmöglich, eine Rangliste zu erstellen. Unvergesslich bleibt für mich der Moment, als wir nach Durchsteigung der Cosmique Route beim Sonnenaufgang auf dem Gipfel des 4.810 m hohen Mont Blanc standen. Die Anspannung der konzentrierten Kletterei wurde durch ein „Wir haben es geschafft“-Gefühl abgelöst. Dabei hat man auf dem Gipfel ja erst die Hälfte geschafft. Meist ist der Abstieg viel gefährlicher und anspruchsvoller.
6. Und was war deine bisher extremste Erfahrung, die du in den Bergen erlebt hast?
Eine davon war, als mein Bruder und ich im Hohen Atlas in Marokko auf einer mehrtägigen Trekking-Tour in den Bergen waren und wir trotz vielen eingezeichneten Bächen in der Landkarte, die aber alle ausgetrocknet waren, „out of water“ waren. Dies im Wissen, dass wir zwei Tage brauchen, bis wir wieder in der Zivilisation sind. Ein Berber sah das Licht unserer Stirnlampen und besuchte uns mitten in der Nacht mit seinem Esel. Etwas beschämt konnten wir ihm den obligaten Thé du menthe vor dem Zelt, mangels Wasser, nicht anbieten. Mit Handzeichen gab der Berber uns zu verstehen, ihn zu begleiten. Drei Stunden später löschten wir endlich unseren Durst.
Ein bergsteigerisches Grenzerlebnis hatte ich am Ostpfeiler des eindrücklichen Berg „Piz Palü“. Trotz widerwärtigem Wetter kletterten wir weiter. Kurz vor dem Gipfel entlud sich ein heftiges Gewitter. Seither weiß ich, wie ein Kugelblitz, der auf Fels trifft, aussieht. Ich bestieg diesen Berg übrigens danach einige Male wieder.
7. Der österreichische Bergsteiger und Dalai Lama-Vertraute Heinrich Harrer meinte einmal, dass es genauso wichtig ist, um die Berge herumzugehen, wie auf deren Gipfel zu steigen. Wie siehst du das?
Ich selber versuche immer, den Moment mit vollen Sinnen zu erleben. Unabhängig, ob ich auf dem Gipfel des Kilimanjaro stehe, in Nepal rund um das Annapurna-Massiv trekke oder am Fuß einer Felswand im Schweizer Appenzell mein „Zimmer“ im Null-Stern- Hotel unter tausenden Sternen im Biwak genieße. Was aber all diesen Unternehmungen gemein ist: Man lernt Demut. Die Bergwelt lässt uns auf Zwergenniveau schrumpfen – und das ist gut so.
8. In Deutschland und Österreich nimmt die Zahl von Touristen in den Bergen immer weiter zu – nicht nur im Winter. Auch im Sommer kommen immer mehr Menschen auf den Geschmack, in den Bergen Urlaub zu machen. Die Aktivitäten, die die Touristen dort ausführen, sind dabei sehr vielseitig – ob Wandern, Mountainbiken oder Bergsteigen. Tourismusregionen stehen dabei in Konkurrenz zueinander und versuchen, sich in ihren Angeboten (nicht immer im Sinne der Natur) immer weiter zu übertreffen. Ist dieser Trend in der Schweiz ebenso zu erkennen und wie siehst du diese Entwicklung? Sollte sich was ändern und wenn ja, was?
Aus meiner Sicht sollten sich der Tourismus und der Naturschutz nicht als Konkurrenz zueinander sehen, sondern einander ergänzen. Bisher ist es meist so: Der Naturschutz will die Menschen von der Natur fernhalten, der Tourismus will die Touristen in die Natur locken. Ist es nicht sinnvoller, als Vorbild zu zeigen, wie man sich in der Natur, statt abseits der Natur, richtig verhält?
In der Schweiz sind der Tourismus, die Gastro/Hotellerie und Camping Verbände aktuell daran, neue innovative Ideen umzusetzen, mit dem Ziel, dass die Schweizer vermehrt ihre Freizeit und den Urlaub im eigenen Land, statt im Ausland verbringen. Dies in attraktiven Kombinationen, wie zum Beispiel preiswertes ÖPNV -Ticket mit Übernachtung in einem Hotel und einer geführten Klettersteig-Begehung, oder geführte Wanderung durch einen Wanderleiter.
9. Kommen wir noch auf deine Arbeit zu sprechen: Seit zwölf Jahren bist du im Außendienst bei Tatonka tätig. Da du selbst viel in den Bergen unterwegs bist, unterziehst du das Tatonka-Equipment regelmäßig Härtetests. Wie fließen deine Anmerkungen in die Entwicklung künftiger Produkte mit ein?
Die Ideen entwickeln sich während des Praxis-Gebrauchs. Ich entwerfe Zeichnungen, liste auf, was der Rucksack benötigt und was nicht. Diese Informationen leite ich weiter an unser Entwicklungs-Team. Später erhalte ich einen Prototyp, mit dem ich auf Tour gehe. Nur so erkenne ich die eventuellen Mängel und die nötigen Anpassungen. Leider wird nicht jedes Produkt erfolgreich. Für das Matterhorn- Projekt benötigte ich einen sehr leichten Rucksack, da wir bei der Besteigung schnell sein mussten. Also entwickelten wir einen Rucksack im Baukastensystem. Nahezu jedes Element war abmontierbar – bis zum 500-Gramm-Rucksack. Natürlich verliert ein so leichter Rucksack an Tragekomfort. Vielleicht waren und sind wir der Zeit manchmal etwas voraus.
10. Welche Tipps gibst du Menschen, die mit dem Bergsteigen beginnen wollen?
Das ist eine komplexe Frage, die aber einfach zu beantworten ist: Folge deinem inneren Wunsch. Beachte deine Instinkte. Besuche Weiterbildungskurse. Lerne von den Besten. Bergsteigen ist im Grunde sinnlos – aber ein lebenslängliches Finden zu sich selbst. Auch jeder Gipfel, jede Felswand, die aus naturgewaltigen oder aus mentalen Gründen nicht bestiegen werden konnte, ist trotzdem als Erfolg zu werten, da genau dies den Ansporn gibt, bis man es irgendwann geschafft hat. Und endlich ganz oben steht. Yvon Chouinard, den ich persönlich kennen lernen dufte und der ein berühmter Abenteurer, Alpinist und Gründer von Patagonia ist, sagte mir einmal: Erst wenn ein Projekt schief läuft, wenn eine Besteigung nicht gelingt, wird die Tour interessant. Dann beginnt das Abenteuer.